Wolfgang Amadeus Mozart
Das Requiem

- Über die Entstehung

- Gedanken zu den Texten und zur Musik

- Originaltext und Übersetzung




Gedanken zu den Texten und zur Musik

Einführung

Aus kirchenmusikalischer Sicht ist ein Requiem die Vertonung einer bestimmten Gottesdienstform, der katholischen Totenmesse. Einige Teile der Messliturgie werden dabei nicht berücksichtigt (gewisse Gebete, Lesungen, Ansprachen und Lieder). Im Allgemeinen vertonten die Komponisten die Abschnitte, die im Verlauf der Messe feststehen (Ordinarium) und ohnehin gesungen werden.
Die uns vertraute Gestalt des Requiems wurde im Wesentlichen während des Tridentinischen Konzils (1545 - 1563) festgelegt und blieb bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1969) so erhalten. Heute feiert die Katholische Kirche Totenmessen in veränderter Form.
Elementare Gedanken der Requiemstexte reichen bis in urchristliche Zeit zurück. Die Beerdigung wurde als Liebesdienst für den Verstorbenen vollzogen. Mit Respekt wurde dabei der Leib als Träger der Seele bedacht. Im Glauben an die Auferstehung war der Todestag zugleich Geburtstag zum ewigen Leben.
Ab 170 n. Chr. sind auch eucharistische Elemente am Grab bezeugt, und später trat der Gedanke hinzu, durch Fürbitten und Opfergaben das Los der Toten im Jenseits erleichtern zu können. Diesem Gedanken steht das Bestellen entsprechender Kompositionen nahe, wie es im Fall des Requiems von Mozart geschah.

Zu den von Mozart vertonten Texten

Der Introitus Requiem aeternam ist der älteste und namensgebende Teil des Requiems. Er stammt, wie das Tuba mirum, aus dem nichtkanonischen 4. Esra-Buch. Nur dort wird von der "ewigen Ruhe" gesprochen (die Bibel erzählt hingegen vom "ewigen Leben"). Ihr wird sogleich das Bild des ewigen Lichtes entgegengesetzt. Diesem Kontrast geht Mozart nach, indem er das "Requiem aeternam" in einem schwer schreitenden Fugato komponiert, den Chor aber beim "Et lux perpetua" zur Homophonie versammelt.
Mit dem "Te decet" schließt sich eine Abwandlung des Psalms 65, 1-6 an: "Gott, man lobt dich in der Stille zu Zion, und dir hält man Gelübde. Du erhörst Gebet; darum kommt alles Fleisch zu dir."

Der Hilferuf Kyrie eleison erinnert uns mit seinem griechischen Text an die Sprache der Urchristen. Er kommt mehrfach in den Evangelien vor. Die Bittsteller fassen mit diesem Ruf ihre Anliegen zusammen, getragen von dem demütigen Glauben, dass Gott wisse, was das Beste sei. In der Messe ist das Kyrie der Rest eines Litaneigebetes, in dem Gebete mit dieser wiederkehrenden Anrufung verbunden wurden. Mozart widmet dem Kyrie eine Doppelfuge, deren erstes Thema das Kyrie eleison, das zweite das Christe eleison vertont.

Die Sequenz beschwört intensive Bilder vom Jenseits aus alttestamentarischen, neutestamentarischen und apokryphen Quellen. Beginnend mit den Worten "Dies irae" (Tag des Zornes) nimmt sie in den Requiem-Vertonungen oft den meisten Raum ein. Mozart vertonte den Text in sechs jeweils abgeschlossenen Teilen.

   1)  Mit dem Dies irae wird der Weltuntergang beschrieben. Zeugen sind David (wahrscheinlich dessen Vision vom zürnenden Gott aus 2. Sam. 22, 5-16) und Sibylla (die Orakelsprüche "Oracula Sibyllina" aus dem 2.-4. Jahrhundert n. Chr. widmen sich besonders dem Jenseits).
Über tobenden Orchestersechzehnteln steht bei Mozart hier ein homophoner Chorsatz. Er zeichnet besonders augenfällig das Zittern der Menschheit ("quantus tremor est futurus") durch eine bebende Sekundbewegung nach.

   2)  Im Tuba mirum leitet die Gerichtsposaune (vgl. 1. Kor. 15, 52 und Matth. 24, 31 und 4. Esra 6, 23) die allgemeine Totenauferstehung ein, die dem Jüngsten Gericht vorausgeht. Tod und Leben werden erstarren ("Mors stupebit") und müssen sich vor dem Richter verantworten, der nichts vergessen haben wird.
Mit dem Textteil "quid sum miser tunc dicturus" wechselt die Perspektive zu einem Ich-Erzähler. Eine Identifikation der Trauernden mit dem Los der Toten findet statt, das einst ja ihr eigenes sein wird. Bang steht die Frage im Raum, wer für mich Fürsprecher sein wird, was mir geschehen wird, wenn noch nicht einmal der Gerechte sicher sein kann ("cum vix justus sit securus").
Mozart teilt die Verse dieses Textabschnitts zwischen den vier Solisten auf. Erst am Ende vereinen sie sich zum Quartett.

   3)  Der Text des Rex tremendae offenbart, dass der erschreckende Richter selbst der erhoffte Fürsprecher ist. Dem Urteil nach Werken wird hier das Gnadenurteil entgegengestellt. Aber nur die zur Rettung Bestimmten werden errettet (gemäß der Prädestinationslehre des Augustinus 354 - 430). Die erzittern-lassende Majestät wird bei Mozart in fast durchlaufend punktiertem Rhythmus des Orchester- und Chorparts hörbar. Erst drei Takte vor Schluss finden sich Chor und Orchester zu dem in glatten Achteln rhythmisierten, flehentlichen "salva me, fons pietatis".

   4)  Die Anrufung an den gnädigen Jesu im Recordare erfüllt zwei Bedingungen des christlichen Bußsakraments: das Sündenbekenntnis ("Ingemisco tamquam reus") und die Reue ("Culpa rubet vultus meus"). Der Bittsteller ruft in Erinnerung, dass sogar Maria (der Prostituierten) und dem Schächer am Kreuz vergeben wurden. Das schenkt der Christenheit Hoffnung, hebt aber die Trennung von Gut und Böse nicht auf - wie das Bild von den Schafen und Böcken belegt ("Inter oves locum praesta, et ab hoedis me sequestra"). Innig und flehentlich ist Mozarts Vertonung dieses Textes. Das Wort "Recordare" bekommt durch seine ungeheure zeitliche Ausdehnung große Intensität.

   5)  Auch im Confutatis stehen den Verdammten ("maledictis"), die den Flammen anheimfallen werden, die Gesegneten ("benedictis") gegenüber. Jenen anzugehören bedarf der unterwürfigen, reuigen Bitte. Mozart lässt den ersten Textteil von den Chorbässen und -tenören über einem heftigen Unisono der Orchester-Bassgruppe singen. Chorsopran und -alt hingegen tragen wie aus einer anderen Welt die Bitte "voca me" vor. Ein weiteres Mal ändert sich der Charakter der Musik zu dem homophonen "oro supplex et acclinis". In tiefer und enger Lage komponiert, ist der Chor hier primär Träger der Harmonik, die sich an dieser Stelle am weitesten vom a-moll des Satzbeginns wegbewegt. Zerknirscht und angsterfüllt mag dieser letzte Teil klingen.

   6)  Lacrymosa: Der tränenreiche Tag ("Lacrymosa dies illa") ist in Mozarts Requiem ganz in Seufzermotive gefasst. Seine Handschrift bricht nach acht Takten ab, der Rest wurde wahrscheinlich von Franz Xaver Süßmayr ergänzt.
Die Erzählperson hat hier am Schluss der Sequenz wieder gewechselt. Sie endet mit den Worten des Introitus "dona eis requiem. Amen." (schenke ihnen Ruhe. Amen.).

Das Offertorium ist das Darbringungsgebet vor den Wandlungsworten des Abendmahls. Im ersten Teil des Gebets ("Domine Jesu Christe") finden sich Jenseitsvorstellungen unterschiedlicher Herkunft. Aus der griechischen Mythologie stammen der Tartarus (bei Mozart genial mit einem Motiv aus dissonanten fallenden Septimen vertont) und der abgründige See, aus dem die Verstorbenen trinken und so der Vergessenheit anheimfallen. Biblisch hingegen ist der negativ konnotierte Löwe, vor dem die Verstorbenen errettet werden müssen (z.B. Psalm 22 und 1. Petr. 5, 8). Der Fall ins Dunkel erinnert an den Engelsturz, der der Schöpfung vorausging (Mozarts in sich schon fallendes Motiv zu "ne cadant" fällt auch "durch die Stimmen"). In dem Zusammenhang wird der Erzengel Michael erwähnt, der damals Luzifer besiegte und jetzt die Verstorbenen in das heilige Licht führt. Die Musik gehört an dieser Stelle den Solisten, die eine fugierte Reminiszenz an den Beginn des Offertoriums singen. So nähert sich auch die Musik dem Licht, das durch Abraham verheißen wurde und (nach christlicher Auffassung) in Jesus Christus erfüllt ist. Mit der Erinnerung an Abraham übernimmt wieder der Chor die Musik. Über einem rhythmisch energischen Orchestersatz entwickelt sich im Chor eine kunstgerechte Fugenexposition, deren Linien sich nach 16 Takten zur Homophonie versammeln.

Mit dem Hostias rücken Opfergaben und Gebete in den Mittelpunkt der Betrachtung. Im Abendmahl wird das Opfer Christi repräsentiert. Der Hostiastext beinhaltet den Gedanken, dass dieses einmalige Opfer durch Fürbitten und Opfergaben zu ergänzen sei, dass die Lebenden auf diese Weise noch etwas für die Toten tun können. In Mozarts Requiem entfernt sich dieser Teil harmonisch am weitesten von der Grundtonart d-moll. Mit weichem Es-dur beginnend entwickelt er sich zunehmend abgründig und leitet am Schluss die Wiederholung des "quam olim Abrahae" ein.

Das Sanctus ist der Schluss des Praefationsgebets (vor den Einsetzungsworten des Abendmahls). Es zitiert Jes. 6, wo der Prophet eine Vision von den Seraphim hat, die Jahwe umgeben und einander zurufen: "Heilig, heilig, heilig ist der Herr Gott Zebaoth.". Der zweite Engels-Satz erzählt von Gottes Anwesenheit auf der Erde ("Voll sind die Himmel und die Erde des Ruhmes dein"). Wir werden im Abendmahl gewahr, dass alle Welt von der Macht seiner Liebe erfüllt ist. Diese Macht scheint mir in Mozarts Sanctus, das langsam im homophonen Chorsatz komponiert ist, bedacht worden zu sein. Das strahlende D-dur des Satzes wird bisweilen als unpassend für eine Totenmesse kritisiert, besonders dann, wenn der Rezipient glaubt, dass nicht Mozart der Komponist war (vgl. auch "Entstehung des Requiems").

Benedictus und Osanna

Wir stehen jetzt in der Abendmahlsliturgie kurz vor dem Kommen des Herrn, der mit dem Benedictus begrüßt wird. Der Text stammt aus Joh. 12, 12 ff., in dem Jesu Einzug nach Jerusalem und der Lobpreis der Menge beschrieben werden. In Mozarts Vertonung bleiben die Benedictus-Worte dem Solistenquartett vorbehalten. Die große Ruhe und Gelassenheit der Komposition korrespondieren mit der Gewissheit der Worte: "Gepriesen sei, der kommt im Namen des Herrn".
Das Hosianna, eigentlich ein Hilferuf, wirkt in diesem Zusammenhang als Heil-Ruf, da Jesus ohnehin der Inbegriff der Hilfe ist. Es umrahmt in der Messliturgie das Benedictus. Mozart vertonte es in Form einer kleinen Fuge.

Das Agnus Dei gehört zum dritten Abschnitt der Eucharistie, zur Kommunion. Es wurde früher während des langen Zeremoniells der Brotbrechung gesungen, die ein Symbol für die Schlachtung des Opferlamms war. Erst mit Aufkommen der Oblaten wurde der Gesang zur Dreigliedrigkeit gekürzt. Im Agnus Dei ist der Gedanke der leibhaftigen Hingabe Jesu Christi, des Lamm Gottes, erhalten geblieben. Die Musik ist wieder zu d-moll zurückgekehrt. Vier rhythmische Ebenen werden hörbar: Ruhig pulsierende Achtel-Akkorde im Orchester, darüber eine den harmonischen Gang in Sechzehnteln auszierende Violinstimme; eine Bläser-Paukengruppe setzt in jedem Takt nur einen Impuls auf der ersten Zählzeit. Über diesem Satz bewegt sich der Chorpart, akkordisch komponiert, in weit gespannten Phrasen, die schließlich zum letzten großen Satz, der Communio führen.

Die Communio ist Teil des großen Abendmahlsgebetes nach der Wandlung bzw. den Einsetzungsworten. Da sie wieder Worte des Introitus verwendet, lag es kompositorisch nahe, sie auch mit der Musik des Anfangs (Introitus und Kyrie) zu vertonen.
Dieser letzte Abschnitt endet mit den Worten "quia pius es" (denn gütig bist du). Das lateinische "pius" bedeutet auch - auf Gott bezogen - "treu". Gottes Treue (auch zu sich selbst) besteht in seiner Barmherzigkeit. Mit dieser Gewissheit, die die Konfessionen eint, kommt Mozarts Requiem zu einem getrosten und hoffnungsvollen Ende.

Mona Debus



Literatur:

Grundlage für die theologischen Aussagen dieses Aufsatzes ist das 1996 bei Bärenreiter erschienene Buch "Lateinische Kirchenmusiktexte" von Paul-Gerhard Nohl. Der Autor war bis 1989 evangelischer Gemeindepfarrer in Herborn, sang in diesem Jahr die damalige Aufführung des Requiems in der Herborner Kantorei mit und blieb ihr auch nach seiner Berufung an das Theologische Seminar in Friedberg verbunden.