Wolfgang Amadeus Mozart
Das Requiem

- Über die Entstehung

- Gedanken zu den Texten und zur Musik

- Originaltext und Übersetzung




Über die Entstehung

Ein alter Mann, die weißen Haare so wirr wie der Blick. Er hebt steif eine Hand, unterstreicht seine Worte mit verkrümmten Fingern. Es ist Antonio Salieri, der große Komponist und bedeutende Lehrer. Von Drehbuchautor Peter Shaffer mit dämonisch-fesselnden Zügen ausgestattet, tritt er uns in dem mehrfach preisgekrönten Film "Amadeus" entgegen und bekennt, Mozart vergiftet zu haben.

Tatsächlich sprach man in Wien noch lange nach Mozarts Tod davon, dass an diesem 5. Dezember 1791 ein Mord geschehen sei. In den Konversationsbüchern des ertaubenden Beethoven diskutierten seine Besucher immer wieder dieses Thema. Salieri selbst phantasierte zwei Jahre vor seinem Tod, am Tode Mozarts schuld zu sein.

Die Entstehungsgeschichte des Requiems ist umrankt von einem anekdotischen Geflecht, das deshalb so faszinierend ist, weil es nie ganz einer wahren Grundsubstanz entbehrt. Unter all den farbigen Bildern, die Shaffer in seinem Film so meisterlich zu einem Gesamtkunstwerk verarbeitet, liegt eine Schicht widersprüchlicher Quellen, eindeutiger Quellen und fehlender Quellen.

Von Mozart selbst wissen wir nicht viel über das Requiem. In einem italienisch abgefassten Brief erwähnt er seinen canto funebre (Totengesang). Doch wird die Authentizität des Briefes angezweifelt, vor allem weil das Original fehlt und der Adressat unklar bleibt.

Wir müssen uns auf die frühen Biografen verlassen, die sich ihrerseits auf das Wort Konstanzes, Mozarts Ehefrau, verließen. Die erste ausführliche Arbeit schrieb 1798 Franz Niemetschek, dessen Chronik fast wörtlich von Nissen, Konstanzes zweitem Ehemann, in dessen Mozart-Biografie übernommen wurde. Daraus lässt sich folgende Chronologie ableiten: Wahrscheinlich im Juli 1791 sprach ein Bote bei Mozart vor. Er wollte seinen Namen nicht nennen und den seines Dienstherrn auch nicht. Doch bestellte er ein Requiem für die gerade verstorbene Frau des Auftraggebers. Ein Preis wurde vereinbart und ein Vorschuss bezahlt. Zu dieser Zeit vollendete Mozart gerade die "Zauberflöte" (UA: 30. September 1791) und erhielt von den böhmischen Ständen den ehrenvollen Auftrag, für die Kaiserkrönung Leopolds II. in Prag am 6. September 1791 die Oper "La clemenza di Tito" zu komponieren.
Wahrscheinlich blieb die Arbeit am Requiem deshalb zunächst liegen. Mozart komponierte unter Hochdruck die Krönungsoper. Und als er Ende August zur Vollendung des Titus nach Prag abreiste, erschien wieder der Unbekannte und ermahnte Mozart zur Eile. Aus Prag zurückgekehrt stellte er zunächst das Klarinettenkonzert für Anton Stadler fertig (UA: 16. Oktober 1791) und widmete sich erst dann dem Requiem.

Friedrich Rochlitz, der wie Niemetschek 1798 seine Mozart-Biografie herausgab und sie auf Konstanzes Berichte stützte, weicht von Niemetzscheks Chronologie in sehr unwahrscheinlicher Weise ab. Übereinstimmend aber schreiben beide davon, dass Mozart nun geradezu besessen bis hin zu Ohnmachten am Requiem gearbeitet und geäußert habe, er schreibe das Werk für seine eigene Totenfeier. Der unbekannte Bote ängstigte Mozart zutiefst und erschien ihm immer mehr der jenseitigen Welt zugehörig. Georg Nikolaus Nissen überliefert Konstanzes Erinnerung an die berühmte Praterfahrt, die sie und Mozart Ende Oktober unternahmen: "... fing Mozart an vom Tode zu sprechen, und behauptete, dass er das Requiem für sich setze. Dabey standen ihm Thränen in den Augen und als sie (Konstanze) ihm den schwarzen Gedanken auszureden suchte, sagte er: 'Nein, nein, ich fühle mich zu sehr, mit mir dauert es nicht mehr lange: gewiss, man hat mir Gift gegeben! Ich kann mich von diesem Gedanken nicht loswinden.'" Sicher ist, dass Mozart vom 20. November an nicht mehr aufstehen, also auch nur in der Zeit von Oktober bis dahin so intensiv am Requiem arbeiten konnte.

Erst 1964, nach fast 200 Jahren Mozart-Forschung, erfuhr die verblüffte Fachwelt von einem wertvollen Dokument: Der Bericht des Schuldirektors und Chorregenten Anton Herzog über die "wahre und ausführliche Geschichte des Requiem von W.A. Mozart". Herzog war Zeuge des Geschehens, das er in diesem Dokument darlegt. Er arbeitete 1791 als Lehrer und Musiker im Dienste des Grafen von Walsegg, der es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, bei namhaften Komponisten Werke in Auftrag zu geben, um sie anschließend abzuschreiben und seinem Orchester als seine eigenen Kompositionen vorzulegen. Als am 14. Februar 1791 die junge Frau des Grafen starb, verfuhr er genauso. Er wollte an ihrem Todestag jährlich ein Requiem aufführen und bestellte dieses anonym bei Mozart.

Nüchterne medizinische Forschung versucht schon lange zu identifizieren, woran Mozart tatsächlich starb. Fast 200 Jahre nach seinem Tod und ausschließlich auf Schriftzeugnisse gestützt kommt der Arzt J. P. Davis 1984 in "Mozart's Illness and Death" zu dem Schluss, dass der Komponist unter anderem an einer chronischen Nierenentzündung litt, die mit Komplikationen einhergehend schließlich zu Nierenversagen und Tod führte. Mozarts Angst vor dem unbekannten Boten, seine Todesfantasien und Depressionen sind in diesem Zusammenhang als Begleiterscheinung zu interpretieren.

Dass Mozart während der Arbeit am Requiem starb, hat nicht nur die Fantasie der Nachgeborenen bewegt, sondern auch der Musikwissenschaft eine Lebensaufgabe hinterlassen. Um das vereinbarte Honorar für das Werk zu erhalten, musste Konstanze nach Mozarts Tod dafür sorgen, dass es fertiggestellt würde. Bis dahin existierte nur der Introitus vollkommen. Im Particell vorhanden waren (lt. Leopold Nowak, Mozart-Jahrbuch 1973/74) immerhin 99 Blätter, die das Kyrie, die Sequenz und das Offertorium enthielten. Allerdings endet die Skizze des Lacrymosa (in der Sequenz) nach acht Takten - Mozart komponierte nicht in der liturgischen Reihenfolge.

Am 21. Dezember 1791 gab Konstanze die Noten an Joseph Eybler weiter, ein begabter und von ihm sehr geschätzter Schüler Mozarts. Eybler gab das Werk bald zurück. Wahrscheinlich führte er die Stimmen vom Dies irae bis zum Hostias aus. Nicht klar ist aber, ob er das nicht schon zu Lebzeiten Mozarts, unter dessen Aufsicht und Anleitung tat. Die Stimmen sind direkt in Mozarts Skizzen hineingeschrieben und überzeugen mehr als die Eintragungen Süßmayrs, dem das Werk danach übergeben wurde. Süßmayr, ein weiterer Schüler und oft bespöttelter Vertrauter Mozarts, fügte die Trompeten- und Paukenstimmen im Dies irae hinzu. Eine Arbeit, an der schon bald Kritik laut wurde. Sanctus, Benedictus und Agnus Dei waren im Vokalsatz wohl schon von Mozart konzipiert (allerdings fehlen Skizzen). Sie sind besser, als man es Süßmayr zutrauen würde, der hier wahrscheinlich auch nur die Instrumentierung vorgenommen hat. Die fehlende Instrumentation des Kyrie wurde von dem Wiener Dirigenten und Komponisten D. J. Freystädtler hinzugefügt.

Nachdem das Werk auf diese Weise fertiggestellt worden war, ließ Konstanze entgegen der Abmachung mit dem Auftraggeber zwei Kopien anfertigen, deren eine sie dem Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig verkaufte. Auf Konstanzes Wunsch organisierte Baron van Swieten eine Aufführung des Requiems am 2. Januar 1793 in den Jahnschen Sälen, wo Mozart ca. zwei Jahre zuvor sein letztes Konzert gegeben hatte. Walsegg erhielt Introitus und Kyrie im Original, die nachfolgenden Sätze als Kopie und teils Komposition von Süßmayr. Er schrieb die Noten wie geplant ab und führte das Werk im Rahmen eines Seelenamtes am 14. Dezember 1793 in der Zisterzienser-Stiftspfarrkirche zu Wiener-Neustadt auf. Die an Walsegg übergebenen Noten (immerhin mit den Originalen des Introitus und Kyrie) tauchten erst wieder auf, als elf Jahre nach Walseggs Tod auch sein Amtsschreiber starb. Aus dessen Nachlass kaufte sie die Wiener k.k. Hofbibliothek auf. Heute befinden sie sich in der österreichischen Nationalbibliothek Wien.


Ob wir dem emotionalen Spiel mit dem Anekdotischen nachgehen, wie es Shaffers "Amadeus" nahelegt, oder den Fakten, um deren Sichtung sich Musikwissenschaftler, Mediziner und Graphologen verdient machen, ist vielleicht nicht entscheidend. Die Wirkung des Werkes ist den Tendenzen seiner Annäherung allezeit überlegen.

Mona Debus



Wolfgang Amadeus Mozart (27. 1. 1756 Salzburg - 5. 12. 1791 Wien)
Komponierte 22 Bühnenwerke, 41 Sinfonien, zahlreiche Kirchenmusikwerke, Solokonzerte und Kammermusik.

Antonio Salieri (18. 8. 1750 Legnano - 7. 5. 1825 Wien)
Lehrer von Beethoven, Schubert, Meyerbeer, Mozart und Liszt. Hofkomponist und -Kapellmeister in Wien. Komponierte 39 Opern, Kirchen- und Instrumentalmusik.



Literatur:

Robbins Landon, H. C.: 1791 - Mozarts letztes Jahr, Claassen-Verlag Düsseldorf, 1988.

Hildesheimer, W.: Mozart Briefe, Insel-Verlag, Frankfurt am Main, 1975.

Greither, A.: Mozart, Rowohlt-Verlag, Reinbek/Hamburg, 1962.