Georg Friedrich Händel
Der Messias

Entstehung

Als Georg Friedrich Händel 1741 das Oratorium "The Messiah" (Der Messias) komponierte, war er bereits seit 29 Jahren etablierter Opernkomponist in England.
Der 1685 in Halle Geborene hatte vier Jahre in Florenz, Rom, Neapel und Venedig den italienischen Belcanto studiert, den er in Verbindung mit deutscher Kontrapunkt-Technik bald zu einem reifen und routinierten Personalstil entwickelte.

1710 zum Hofkapellmeister des Kurfürsten Georg von Hannover ernannt, reiste er sofort weiter nach London, wohin er schon zwei Jahre später ganz übersiedelte. Wiederum zwei Jahre später bestieg sein hannoveranischer Dienstherr als König Georg I den englischen Thron. Eine seiner letzten Amtshandlungen bestand darin, Händel 1727 auf dessen Gesuch hin einzubürgern.
Nachdem der Komponist 1724 auf der Höhe seines Ruhms war, mußte er sich allerdings zunehmend den Spott der volkstümlichen beggar´s opera (von Gay und Pepusch) gefallen lassen, die mit Parodien die überzeichnete Seriosität der italienischen Oper persiflierte. Man war der hehren, idealisierten Gestalten überdrüssig. Das Publikum blieb aus, Querelen innerhalb des Opernensembles taten das ihre, und schließlich scheiterte 1738 das dritte Opernunternehmen Händels. 1740 schrieb er seine letzte Oper überhaupt (die Vierzigste!).
So fiel Händels künstlerische Vollendung mit einem Auftragsvakuum zusammen. Gesundheitliche Probleme kamen hinzu - Händel hatte 1737 einen Schlaganfall erlitten.
Als er nun 1741 das Textbuch zu "Messiah" von dem Amateurlibrettisten Charles Jennens erhielt, machte er sich enthusiastisch ans Werk: In nur 24 Tagen komponierte er das gewaltige Oratorium.
Eine deutliche Abmahnung an das wankelmütige Londoner Publikum war die Uraufführung des "Messiah" 1742 in "Neal´s Music Hall in Fishamble Street" (Dublin). Dorthin hatte der irische Vizekönig Händel mit seinem Ensemble eingeladen, eine Konzertreihe zu vorwiegend karitativen Zwecken zu veranstalten. Mit der Uraufführung des "Messiah" wurde das Mercer´s Hospital (für englische Strafgefangene) unterstützt. Der Aufführungsort war eine Konzerthalle, keine Kirche. Erst 1750 kam es zu einer, wiederum karitativen, Aufführung des Werks in einem sakralen Raum, nämlich der Kapelle des Fondling-Hospitals (Londoner Heim für Findlingskinder).
Der Niedergang der italienischen Oper beförderte wie kaum ein anderer Umstand das Erblühen des Oratoriums in England - maßgeblich durch Händels Hand. Anfangs besetzte er seine Oratorien (32 an der Zahl) noch mit den italienischen Kräften der Oper und führte sie im Theater mit allen musikdramatischen Attributen auf (Kostüme, Masken, Bühnenbild, Darstellung). Zunehmend aber löste er sich von dieser Tradition, griff auf englische Sänger zurück und stellte szenische Aufführungen nach 1732, einem Verbot von Bischof Dr. Gibson entsprechend, ganz ein.
Ist das Oratorium heute eine kirchenmusikalische Hochgattung, so stieß es damals in England auf enormes Mißtrauen der Geistlichkeit. Einen Einblick in die Vorbehalte gibt ein von Jonathan Swift überliefertes Zitat. Swift war nicht nur Autor von "Gullivers Reisen", sondern auch Dekan an der St. Patricks Cathedral in Dublin und wollte seinen Chorsängern verbieten, anläßlich der Messias-Uraufführung "einer Bande von Fiddlern in Fishamble Street Beistand zu leisten". Sie sollten andernfalls bestraft werden "als leichtfertige Singvögel, Fiedler, Pfeifer, Trompeter, Tambourmajore, oder in sonstiger musikmachender Eigenschaft (...) entsprechend ihrer Rebellion, Treuelosigkeit und Undankbarkeit" (Swift in Friedenthal, S.135).


Der Text zu "Messiah"

Charles Jennens, der Librettist des Messiah, war Händel freundschaftlich und in tiefer Verehrung verbunden. Er war ein musisch und theologisch ausgesprochen gebildeter Mann und tief überzeugter Anglikaner. Für das Messias-Libretto verwendete er ausschließlich Bibelzitate, die er dem Common Prayer Book (thematisch und kirchenjahrlich geordnet) und der English Bible (in der "authorized version") entnahm. Nach einer Revision des Textes 1743 überschrieb Jennens die drei Teile des Messiah wie folgt:
  1. Prophecy of Messiah and its fulfilment
  2. From Passion to triumph
  3. Messiah´s role in the life after death
Thema des Messias ist die Messianität Jesu, der also als Sohn Gottes begriffen wird und von Tod, Teufel und Sünde erlöst. Damit wandte sich Jennens bewußt gegen die Thesen der Deisten, die Gott nach einem einmaligen Schöpferakt nunmehr als nicht mehr eingreifend sahen (was einen Gottessohn überflüssig macht). Die Deismuskontroverse war im England des 18. Jahrhunderts so präsent, dass sich ihr kein Intellektueller entziehen konnte. Für uns heute fern, war sie damals so gegenwärtig, dass Jennens sicher sein konnte, verstanden zu werden.

Beim Lesen der Texte zu "Messiah" fällt auf, dass Jennens überwiegend aus dem Alten Testament zitiert. Überraschend, wo es doch um Jesus Christus geht. Anders als beispielsweise die Textvorlage zu Bachs Johannes-Passion erzählt Jennens "Messiah" auch nicht Jesu Leben, Wirken und Sterben. Jennens erzählt überhaupt keine biblischen "Geschichten", denn er konnte sie getrost beim Publikum voraussetzen. So konzentrierte er sich ganz auf Kommentare des biblischen Geschehens und machte es transzendent.

"Händel und Jennens behandelten ihr Thema als ein Geschehen, das beobachtet und gedeutet wird, ja, als eine Vorgabe zur Meditation. Auch Nicht-Glaubende können diese Geschichte und ihre symbolische Deutung wertschätzen und dabei über eine weiter-reichende Thematik von Leben, Tod, Vorsehung, Opfer und Auferstehung ins Nachdenken kommen" (Donald Burrows in Nohl, S. 79).

Mona Debus



Literatur:

Paul-Gerhard Nohl: Geistliche Oratorientexte - Entstehung, Kommentar, Interpretation; Bärenreiter, Kassel 2001
Dieses aufschlussreiche Werk sei allen empfohlen, die sich nicht nur mit der Musik, sondern auch mit den theologischen Aspekten der kirchenmusikalischen Texte beschäftigen wollen.

Richard Friedenthal: Händel, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1995

Verschiedene lexikalische Werke, die Wikipedia Seiten zu "Messiah", die Seiten von klassik.com und eine Musikgeschichte-Vorlesung von Prof. Dr. Minkenberg waren weitere Quellen für diesen Aufsatz.